Wie funktioniert ein Holacracy Governance Meeting?

Holacracy ist eine Methode, mit der Teams oder ganze Organisationen sich selbst organisieren können. Ein Aspekt davon ist die Governance: Das Regeln der Entscheidungsbefugnisse im Team.

In einem Holacracy Governance Meeting organisiert ein Team sich selbst: Es klärt, wie die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse verteilt sein sollen.

Holacracy verwendet dafür einen strukturierten, verbindlichen Besprechungsprozess. Er basiert auf Konsent-Entscheidungen und ist stark von Soziokratie inspiriert.

Dieser Artikel führt durch alle Schritte des Holacracy Integrative Decision Making.

Zu einem Überblick zu Holacracy siehe hier.

Structure & Process gibt Einführungen zu Holacracy und begleitet Unternehmen auf dem Weg zu mehr Selbstorganisation. Kontakt: Martina Röll, info@structureprocess.com

Holacracy ist ein eingetragenes Warenzeichen von HolacracyOne, LLC

 

Besprechungsleitung

Holacracy Meetings werden von einem Facilitator geführt. Der Facilitator wird vom Kreis gewählt, normalerweise für 6 oder 12 Monate.

Der Facilitator ist kein „kreativer“ Moderator, sondern führt den Kreis durch den vorgegebenen Holacracy Prozess entsprechend der Holacracy Verfassung:  Er strukturiert das Gespräch und unterbricht, wenn nötig, Teilnehmer, die außerhalb der Reihe sprechen. So stellt er gleiche, faire Bedingungen für alle Teilnehmer her.

„Facilitator“ ist in Holacracy ein recht „mechanischer“ Job: Man vermittelt nicht, gleicht nicht aus, wird nicht clever oder kreativ, sondern hält sich stabil, klar und neutral. So hilft das allen am besten.

Einstieg ins Meeting

Ankommen, Check-In

Ein Meeting beginnt mit einer Check-In Runde: Jeder spricht einmal, so lange wie nötig, um in der Besprechung anzukommen und voll präsent sein zu können.

Der Kreis kommt zusammen. Die Teilnahme am Meeting ist freiwillig, aber die Entscheidungen gelten für alle, auch Abwesende!.

Rahmenbedingungen absichern

Der Facilitator klärt, ob es besondere Bedürfnisse, etwa Zeitbegrenzungen oder Schwierigkeiten mit dem Raum oder der Online-Verbindung ins Meeting gibt. So wird sichergestellt, dass das Meeting störungsfrei ablaufen kann.

Alles gut? Braucht es noch etwas, bevor wir loslegen können?

Agenda erstellen

Das Governance Meeting wird über eine Agenda strukturiert: Eine vom Kreis gewählte Person, in Holacracy „Sekretär“ genannt, pflegt die Agenda.

Jeder Teilnehmer kann beliebig viele Punkte auf die Agenda setzen. Es können auch während des Meetings neue Punkte hinzugefügt werden – ein Hinweis an den Sekretär genügt.

Martin hat immer viele Agendapunkte. 

Ein Agendapunkt gehört immer einer einzelnen Person – derjenigen, die ihn auf die Agenda gesetzt hat. Es werden grundsätzlich nie Agendapunkte zusammengefasst, auch wenn sie thematisch „ähnlich klingen“ oder  sich „auf dasselbe“ beziehen.

Für die Agenda genügen knappe Stichworte, um später den Teilnehmer mit dem entsprechenden Anliegen identifizieren zu können.

Der Ablauf

Der Facilitator ruft nun einen Agendapunkt auf (von oben nach unten, oder ggf. nach Präferenzen der Teilnehmer) und führt durch den folgenden Ablauf:

Spannung & Vorschlag vorstellen

Der Agendapunkt-Inhaber benennt seine „Spannung“, d.h. das Problem oder die Verbesserungsmöglichkeit, für die der Agendapunkt steht. Er macht dann einen Vorschlag:

„Ich als Finanzer bin überlastet. Ich möchte, dass die Rechnungsstellung künftig von einer eigenen Rolle ausgeführt wird. Ich schlage vor, eine neue Rolle „Rechnungswesen“ einzurichten, damit ich als „Finanzen“ entlastet werde und mich wieder um das Wesentliche kümmern kann.“

Nur fühlen oder frustriert sein hilft nicht: Man muss was daraus machen!

Man kann auch den Kreis um Hilfe bitten, zu einem Vorschlag zu kommen:

„Als Marketing finde ich: So wie wir uns im Moment um unsere Website kümmern ist es unpraktisch. Ich soll dafür zuständig sein, alles aktuell zu halten, dafür brauche ich aber Zuarbeiten von den anderen, die nicht kommen. Kann mir jemand helfen, dafür eine bessere Lösung zu finden?“

Der Spannungsinhaber kann sich so lange Hilfe einholen, bis ein erster Vorschlag steht, der gut genug ist, um damit weiterzuarbeiten. Der Sekretär hält den Vorschlag schriftlich fest, sodass alle Klarheit haben, worüber genau gesprochen und entschieden werden soll.

Dann läuft der Prozess weiter:

Verständnisfragen (Clarifying Questions)

… da macht man so einen super Vorschlag, und dann verstehen Leute ihn einfach nicht! ;-)

Jeder Teilnehmer kann nun Fragen zum Vorschlag stellen.Die Phase dient dazu, den Vorschlag bzw. die Spannung dahinter besser zu verstehen:

„Soll das Rechnungswesen dann auch die Eingangsrechnungen bearbeiten?“

„Wer entscheidet dann, *wann* eine Rechnung zu stellen ist? Wer schiebt das an?“

„Welche Probleme entstehen denn derzeit aufgrund der unaktuellen Website?“

Es kann hier noch kein Feedback gegeben werden; es darf nur Information vom Vorschlagenden abgefragt (geholt) werden.

Der Vorschlagende beantwortet die Fragen, so gut er kann. Eine mögliche Antwort ist auch immer „nicht spezifiziert“: d.h. der Vorschlag behandelt die gestellte Frage nicht.

Wenn es keine Klärungsfragen mehr gibt, führt der Facilitator zum nächsten Schritt:

Rückmeldungen (Feedback)

Die Teilnehmer können nun Feedback geben: Jeder einzeln, und einmal. Der Facilitator achtet darauf, dass keine Diskussion entsteht und unterbricht gegebenenfalls aufkommende Gespräche.

Jeder Teilnehmer spricht einmal und gibt seine Rückmeldung zum Vorschlag:

„Ich sehe da jetzt nicht so richtig das Problem, aber wenn das für Dich so hilft, dann ok.“

„Ich finde das unklar. Es ist in dem Vorschlag nicht geregelt, wer die Eingangsrechnungen bearbeiten soll: Ist das jetzt Finanzen oder Rechnungswesen? Ich finde, das muss noch geklärt werden.“

„Ich finde nicht, dass es eine Bringschuld der Berater ist, Material an Marketing zu liefern. Besser fände ich es, wenn Marketing uns regelmäßig nach neuem Material fragen würde oder einfach einen Redakteur in unsere Meetings schicken würde, dann würde sich das von selber klären.“

Das schönste hier ist, sich einfach die Rückmeldungen anhören zu können, ohne dazu Stellung nehmen zu müssen.

Der Vorschlagende nimmt in dieser Runde die Rückmeldungen einfach kommentarlos zur Kenntnis.

Ändern und Klären (Amend & Clarify)

Nach der Feedbackrunde hat der Vorschlagende die Möglichkeit, den Vorschlag noch einmal zu verändern – also etwa das Feedback aufzunehmen oder neue Erkenntnisse, die er gewonnen hat, einzubauen. Er kann den Vorschlag aber auch unverändert lassen.

„Ich erweitere meinen Vorschlag um die Klärung, dass das Rechnungswesen sowohl Eingangs- wie Ausgangsrechnungen bearbeiten soll.“

Er kann außerdem noch einmal sprechen, um auf das Feedback zu antworten –  etwa um Bedenken aufzunehmen und seinen Standpunkt noch einmal deutlich zu machen:

„Ich verstehe, dass es die Berater nervt, Marketingmaterial produzieren zu müssen. Ich finde aber dennoch, dass das der bessere Arbeitsprozess ist. Ich lasse meinen Vorschlag so stehen.“

Der geänderte Vorschlag muss nicht allen gefallen: Man hat als Vorschlagender die freie Wahl, was man aufnimmt, und was nicht. Hach. Freiheit. :)

Zum veränderten Vorschlag gibt es keine weitere Feedbackrunde.

Der Vorschlag steht nun und es kommt zum Entscheid:

Entscheid durch Konsent („Objection Round“)

Zum fertigen Vorschlag fragt der Facilitator nach Einwänden.

„Sieht jemand einen Grund, warum Schaden entstehen würde oder wir zurückgeworfen würden, wenn dieser Vorschlag angenommen würde?“

Oder kurz:

„Hat jemand einen Einwand gegen diesen Vorschlag?“

Any Objections?

Wenn es keine Einwände gibt, ist der Vorschlag angenommen. Die Veränderung wird vom Sekretär in die Governance Records – die Aufzeichnungen der Struktur & Regeln der Organisation – aufgenommen. (Siehe hier für die Governance Records von Structure & Process.) Die Änderung ist unmittelbar gültig.

Wenn es Einwände gibt, können sie auf Gültigkeit getestet werden und müssen, wenn sie den Test bestehen, integriert werden. Ein Einwand muss begründet sein, also klar artikuliert werden können: Wie entsteht durch den Vorschlag Schaden? Dazu bei Gelegenheit einmal mehr in einem eigenen Artikel. (Und für die Neugierigen eine Vorschau hier: Valid Objections in Holacracy (Video auf Englisch).)

In der „Objection Round“ wird nicht abgestimmt oder Zustimmung abgefragt: es zählt alleine, ob ein Einwand besteht. Das ist der Kern von Konsent-Entscheidungen.

Check Out

Wenn alle Agendapunkte bearbeitet worden sind, führt der Facilitator durch einen Check-Out: Jeder spricht einmal, und kann eine Reflexion zur Besprechung teilen.

Check-Out. Wie geht’s? Wie war’s?

Der Facilitator schließt dann die Besprechung.


Beispiele von Protokollen von Governance Meetings lassen sich zum Beispiel im Glassfrog von Structure & Process nachlesen (auf den „History“ Registerkarten schauen – jeder Kreis hat eigene Governance Meetings.). Kommentare zu einem unserer vergangenen Governance-Meetings finden sich im Blogpost „Clarifying roles and accountabilities in Holacracy – our April 8th Governance Meeting explained“ (April 2014, Englisch). Material für Facilitator von Holacracy Meetings findet sich hier.

Alle Illustrationen in diesem Artikel sind von LaralaralistenvisualslogoLara Listens.

Rückfragen gerne hier in den Kommentaren oder per E-Mail: martina@structureprocess.com

Structure & Process berät Unternehmen und Organisationen zu hilfreichen Strukturen und Arbeitsprozessen, insbesondere auch zur Verbesserung von Meetings und anderen Besprechungen. Wir gestalten und moderieren Workshops und organisieren Konferenzen und andere Großgruppenevents.

2 Gedanken zu „Wie funktioniert ein Holacracy Governance Meeting?

  1. Cooler Artikel, der sehr schön zusammenfasst! Gerne hätte ich mal einen Blick in Eure Strukturen geworfen, aber der glassforg-link geht ins Leere. Gibt es hier einen aktuellen?

    1. Hi Wolfgang! Nein, tut mir Leid – wir arbeiten größtenteils nur noch zu zweit und haben die formelle Holacracy-Praxis bei uns aufgegeben.

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